Der erste Bahnhofsneubau der DDR
Ähnlich, wie in vielen anderen Städten im Zuge der immer schneller voranschreitenden Industrialisierung, beschloss man im Jahr 1865 auch in Sangerhausen im heutigen Landkreis Mansfeld-Südharz, die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort durch den Bau eines Bahnhofs voranzutreiben. Ein Jahr nach Baubeginn, im Juli 1866 öffnete der Bahnhof, der 1945 bei Luftangriffen zu großen Teilen zerstört wurde, seine Pforten auch für den Personenverkehr.
Den Zerstörungen fiel auch das Bahnhofsgebäude zum Opfer und so mussten die Reisenden in Sangerhausen viele Jahre ohne ein Empfangsgebäude auskommen. Erst 1963 wurde eine neue Empfangshalle gebaut, welche, zusammen mit dem ebenfalls neu gestalteten Bahnhofsvorplatz, aufgrund seiner architektonischen Qualitäten nicht nur ein beredtes Zeugnis der Architektur der frühen 60er Jahre ablegt, sondern inzwischen unter Denkmalschutz steht.
Beauftragte Leistungsschwerpunkte:
Strategische Beratung, Ausschreibungsmanagement, Vertragscontrolling
Öffentlicher Auftraggeber:
SWG Städtische Wohnungsbau GmbH Sangerhausen
Nutzungsfläche (NUF):
2.380 m²
Leistungsumfang der VBD:
ÖÖP-Modell, Ausschreibung der Planungs- und Baumaßnahmen funktional durch SWG und Vermietung des Bahnhofs an die Stadt Sangerhausen, Finanzierung über Fördermittel sowie Forfaitierung der Mietforderungen über 30 Jahre
Besonderheiten:
Sanierung eines denkmalgeschütztem Gebäudes, Park+Ride-Anlage, Einbindung von Fördermitteln, Abstimmung mit der Deutscher Bahn / diversen Mietern Realisierung im Rahmen eines ÖÖP-Modells durch die Wohnungsbaugesellschaft Sangerhausen (SWG)
Der Plan nimmt Gestalt an
Vor diesem Hintergrund reifte der Plan der Aufwertung des Bahnhofs als städtebauliche Ergänzung zum Altstadtkern durch eine umfassende Sanierung in Verbindung mit der Erarbeitung neuer Nutzungskonzepte. Im Zuge dessen erwarb die Stadt Sangerhausen das Bahnhofsareal im Jahr 2010 von der Deutschen Bahn und erstellte ein erstes Nutzungskonzept samt Entwurfsplanung. Die Planungen ebneten den Weg für die Aufnahme des Bahnhofs in das Förderprogramm „REVITA“ der NASA GmbH im Jahr 2011, einem Programm für „Neue Nutzungen für alte Bahnhöfe in Sachsen-Anhalt“.
Zur Umsetzung des umfangreichen Sanierungsprojektes erwog die Stadt Sangerhausen die Untersuchung der Wirtschaftlichkeit alternativer Beschaffungsvarianten gegenüber einem konventionellen Eigenbau und beauftragte die VBD im Januar 2012 mit der Erarbeitung einer vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Neben dem Vergleich einer konventionellen Realisierung mit zwei verschiedenen ÖPP-Varianten, zum einem dem ÖPP-Inhabermodell und zum anderen dem ÖPP-Vermietungsmodell (auch Investorenmodell genannt), sollten im Rahmen der Analyse auch die etwaigen Vorteile einer Öffentlich-Öffentlichen-Partnerschaft (ÖÖP-Modell) herausgearbeitet werden. Letzteres Modell sah eine Partnerschaft der Stadt Sangerhausen mit der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft Sangerhausen (SWG) zur Realisierung des Projektes vor. Im Rahmen einer solchen Partnerschaft war vorgesehen, dass die Stadt zunächst das Bahnhofsareal an die Wohnungsbaugesellschaft verkauft. Die SWG würde somit die Möglichkeit haben, das Sanierungs- und Umbauprojekt in einem Gesamtpaket aus Planung, Bau und Finanzierung mittels einer funktionalen Leistungsbeschreibung an einen Generalübernehmer auszuschreiben. Für die Endfinanzierung sah dieses Umsetzungsmodell die Vermietung von Räumlichkeiten des Bahnhofs an die Stadt als Generalmieter der SWG und diverse gewerbliche Nutzer vor.
Im Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsstudie ließ die Realisierung des Umbau- und Sanierungsprojektes des Bahnhofs Sangerhausen im Rahmen eines ÖÖP-Modells die größten Kostenvorteile gegenüber einem konventionellen Eigenbau erwarten. Nach dem das Vorhaben den verschiedenen, an der Entscheidungsfindung beteiligten politischen Gremien vorgestellt wurde und die komplexen weiterführenden Planungen der Umbau- und Sanierungsmaßnahmen durch die SWG inklusive der Prüfung zur Einbindung von Mitteln diverser Förderprogramme abgeschlossen waren, beschloss der Stadtrat Sangerhausen im Dezember 2013, das Projekt im Rahmen eines ÖÖP-Modells zu realisieren. In der Folge wurde die VBD mit der Durchführung eines mehrstufigen, europaweiten Ausschreibungsverfahrens, der Vertragsgestaltung sowie der Projektsteuerung betraut.
„Das Tor zur Stadt“
In den letzten Jahren war von dem Glanz vergangener Zeiten am Bahnhof der Rosenstadt nicht mehr viel zu spüren. Vielmehr war das Gebäudeensemble zunehmend durch Leerstand geprägt und drohte zu verwahrlosen. Die Stadt, die den Bahnhof nach wie vor als das identitätsstiftende „Tor zur Stadt“ begriff, fasste daher den Entschluss, dem Bahnhof seine frühere Bedeutung zurück zu geben und ihn für die Anforderungen eines modernen Verknüpfungspunktes von SPNV und ÖPNV in der Region zu wappnen.
Das europaweite Ausschreibungsverfahren
Insgesamt beteiligten sich vier Bewerber am Teilnahmewettbewerb der europaweiten Ausschreibung, von denen nach Prüfung der eingereichten Bewerbungsunterlagen alle zur Einreichung eines Angebotes aufgefordert wurden. Aufgrund von Kapazitätsgründen zog sich ein Bieter jedoch aus dem Verfahren zurück, während die verbliebenen Bieter ein Angebot einreichten und zu Bietergesprächen eingeladen wurden. Im weiteren Verfahren wurden die drei Bieter zur Abgabe eines optimierten Angebotes aufgefordert. Aus der zweiten Runde des Vergabeverfahrens im Dezember 2014 ging die Bilfinger Hochbau GmbH als Siegerin hervor, die das Bahnhofsprojekt Sangerhausen zusammen mit der S&P Sahlmann Planungsgesellschaft mbH und der Deutschen Kreditbank AG (DKB) umsetzen wollte.
Die Ergebnisse des angestrebten Verfahrens wurden dem Stadtrat im März 2015 vorgestellt und das Vorhaben der Sanierung des Bahnhofs Sangerhausen im Rahmen eines ÖÖP-Modells positiv beschieden. Nachdem das Projekt auch seitens der Kommunalaufsicht genehmigt wurde, war der Weg frei für die Umsetzung des Bahnhofsprojektes Sangerhausen. Rückenwind erhielt das Projekt auch durch die Einbindung von Fördermitteln, sowohl aus dem Programm „REVITA“, das dem Projekt Gelder in Höhe von 2,3 Mio. € zur Verfügung stellte, als auch aus dem Programm zum Städtebaulichen Denkmalschutz des Landes Sachsen-Anhalt, welches weitere 2,2 Mio. € beisteuerte.
Die zügige Umsetzung eines komplexen Vorhabens
Trotz der Komplexität der Umbau- und Sanierungsmaßnahmen auf dem Bahnhofsareal in Sangerhausen, konnte das Projekt zügig umgesetzt werden. So gehörten neben der Sanierung des denkmalgeschützten Bahnhofsgebäudes auch der Abbruch eines ehemaligen Wohnheims auf dem Bahnhofsareal, sowie die Errichtung einer P+R-Anlage für PKW und Fahrräder und schließlich die Wartung der technischen Anlagen im Rahmen einer verlängerten Mängelhaftung zum Projektumfang. Zudem hatte die Sanierung teilweise im laufenden Betrieb stattzufinden und es mussten Interimslösungen für die Bestandsmieter seitens des Auftragnehmers angeboten werden. Eine weitere Besonderheit des Projektes bestand darin, dass seitens des Auftraggebers die Auflage erteilt wurde, die Feinabstimmung hinsichtlich des Nutzungskonzeptes mit den zukünftigen Mietern vorzunehmen.
Ein Projekt, zwei Feiern
Nach einer Planungs- und Bauzeit von insgesamt 20 Monaten, fand am 9. September 2016, pünktlich zum Sachsen-Anhalt-Tag, die feierliche Eröffnung des sanierten Bahnhofs im Beisein der Landesminister Thomas Webel (Minister für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt) und André Schröder (Finanzminister Sachsen-Anhalt) statt, allerdings vor nahezu leeren Räumlichkeiten, da die Bauarbeiten, trotz verspätet erteilter Baugenehmigung früher fertig gestellt werden konnten, als ursprünglich geplant. Und so wurde neben der ersten Eröffnungsfeier am 9. September eine zweite Feier geplant, um den Einzug der Mieter ebenso festlich zu begehen, wie die Eröffnung des Bahnhofs. Zu diesen gehört neben der Stadt, die auf dem Bahnhofsareal u. a. die Stadtbibliothek, sowie das örtliche Bürgerbüro betreibt, auch ein Restaurant, eine Tourismusinformation und die Abellio AG.
Zur ersten Eröffnung wartete der sanierte Bahnhof in Sangerhausen schon mal mit einem neuen Schriftzug und dem in neuem Glanz erstrahlenden Wandmosaik des aus Sangerhausen stammenden Künstlers Wilhelm Schmied auf, die seit dem Neubau des Jahres 1963 die Halle des Empfangsgebäudes zieren.
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