18.02.2014
Die Umsetzung der großen Vergaberechtsnovelle beginnt
Das EU-Parlament hat am 15.1.2014 das Richtlinienpaket zum EU-Vergaberecht verabschiedet. Die Verabschiedung durch den Rat wird noch im Februar erwartet, so dass die Richtlinien voraussichtlich im März 2014 in Kraft treten können. Mit der Vergaberechtsmodernisierung verknüpft die EU verschiedene Ziele:
Bei der aktuellen Reform handelt es sich um das größte vergaberechtliche Gesetzgebungsverfahren seit 2004. Viele der Richtlinienbestimmungen sind dabei zwingend in nationales Recht umzusetzen. Auch wenn dafür bis Februar 2016 Zeit ist, lohnt es sich, schon jetzt auf einige Neuerungen einzugehen, die für die von uns begleiteten Vergabeverfahren von praktischer Bedeutung sind.
Stärkung des Verhandlungsverfahrens
Das Verhandlungsverfahren, das sich für komplexe Vergabe bisher bestens bewährt hat, wird durch die Konkretisierung der Anwendungsbedingungen weiter gestärkt. Gemäß Artikel 26 der EU-Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe darf das Verhandlungsverfahren angewendet werden, wenn eins oder mehrere der folgenden Kriterien erfüllt sind:
Die gleichen Kriterien gelten auch für den Wettbewerblichen Dialog, so dass beide Verfahrensarten nun eindeutig als gleichrangig definiert werden. Insbesondere das zweite und das dritte Kriterium machen noch klarer als bisher, dass das Verhandlungsverfahren für die Vergabe komplexer Leistungspakete aus Planungs-, Bau- und ggf. auch Finanzierungs- oder Gebäudemanagementleistungen zulässig ist.
Neue Verfahrensart: Innovationspartnerschaft
Neben den bereits bekannten Verfahrensarten wird als fünfte in Artikel 31 die Innovationspartnerschaft neu eingeführt. Dieses Instrument richtet sich auf einen Bedarf, der nicht durch bereits auf dem Markt verfügbare Produkte, Dienstleistungen oder Bauleistungen befriedigt werden kann und hat die Entwicklung innovativer Lösung zum Ziel. Sie beinhaltet in der ersten Phase in der Regel Forschungs- oder Entwicklungstätigkeiten, so dass die Innovationspartnerschaft nur in Sonderfällen in Betracht kommen wird.
Stärkung der Funktionalbeschreibung
In Artikel 42 wird noch einmal klargestellt, dass die Beschreibung technischer Spezifikationen den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise einschränken darf. Auch um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, sollen Angebote eingereicht werden können, die die Diversität der auf dem Markt verfügbaren technischen Lösungen widerspiegeln. „Die Formulierung technischer Spezifikationen in Form von Funktions- und Leistungsanforderungen erlaubt es in der Regel, dieses Ziel bestmöglich zu erreichen. Funktions- und Leistungsanforderungen sind auch ein geeignetes Mittel, um im öffentlichen Auftragswesen Innovationen zu fördern, und sollten möglichst breite Verwendung finden“, heißt dazu es in der Begründung der Richtlinie unter Ziffer (74).
Stärkung qualitativer Zuschlagskriterien
Um Unklarheiten zu vermeiden, soll der Begriff des „wirtschaftlich günstigsten Angebotes“ als übergeordnetes Konzept präzisiert werden. Die Bewertung kann auf Grundlage:
Der Begründungstext der Richtlinie macht deutlich, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot am ehesten auf Basis „des bestes Preis-Leistungs-Verhältnis ermittelt werden sollte, welches stets eine Preis- oder Kostenkomponente beinhalten sollte.“ Um eine stärkere Ausrichtung der öffentlichen Auftragsvergabe auf die Qualität zu fördern, soll es noch weitreichender den Mitgliedstaaten sogar freigestellt sein, die Anwendung von Preis oder Kosten als alleiniges Kriterium zu untersagen oder einzuschränken. Damit wir noch einmal verdeutlicht, dass es öffentlichen Auftraggebern frei steht, neben dem Preis angemessene zusätzliche Kriterien für die Zuschlagsgewährung zur formulieren. Welche Kriterien dazu gehören, wird in Artikel 67 in einer nicht abschließenden Liste präzisiert. Diese enthält jetzt auch ausdrücklich Kriterien, die mit politischen oder gesellschaftlichen Zielen verknüpft sind und bisher zum Teil als „vergabefremd“ galten.
Stärkung der Lebenszyklusbetrachtung
Erklärtes Ziel der Richtlinie ist es, die Entwicklung und Anwendung europäischer Konzepte für die Lebenszykluskostenrechnung zu fördern. Sie wird als mögliche Methode zur Bewertung eines „Kosten-Wirksamkeits-Ansatz“ in Artikel 67 genannt und in Artikel 68 dann sogar eigenständig behandelt. Dabei werden u.a. die zu berücksichtigenden Kosten aufgeführt und Anforderungen an die Methodik formuliert. Mittel- bis langfristig soll eine gemeinsame Berechnungsmethode der EU verbindlich vorgeschrieben werden.
Präzisierung von erlaubten Vertragsänderungen
Bisher galt der Grundsatz, dass bei wesentlichen Vertragsänderungen eine Neuausschreibung zu erfolgen hat. Zu der Frage aber, was eine wesentliche Vertragsänderung ist, gibt es eine facettenreiche Rechtsprechung. Artikel 72 liefert jetzt konkrete Anhaltspunkte dafür, unter welchen Umständen Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit zulässig sind. Unter anderem sind Änderungen zulässig, wenn sie im ursprünglichen Vertrag angelegt waren (Überprüfungsklauseln, Optionen), wenn der Wechsel des Auftragnehmers erhebliche Schwierigkeiten oder beträchtliche Zusatzkosten bedeuten würde oder die Änderungen nicht vorhersehbar waren. In den beiden letzten Fällen darf die Preiserhöhung jedoch 50 % des ursprünglichen Auftragswertes nicht überschreiten. Darüber hinaus können Aufträge auch ohne die Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens geändert werden, wenn 10 % des ursprünglichen Auftragswertes bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen bzw. 15 % bei Bauaufträgen nicht überschritten werden und sich der Gesamtcharakter des Auftrages nicht ändert.
Präzisierungen für „In-House-Vergaben“
Eine in der Praxis oft diskutierte Frage ist, unter welchen Bedingungen öffentliche Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors als sogenannte „Inhouse-Vergabe“ ohne Ausschreibung vergeben werden können. In Artikel 12 wird jetzt die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu dieser Frage kodifiziert bzw. präzisiert. Folgende Bedingungen werden darin formuliert:
Der Anteil der Tätigkeiten sollen gemäß Absatz 5 des Artikels anhand des durchschnittlichen Gesamtumsatzes ermittelt werden. Gegenüber der zuletzt in Deutschland praktizierten Rechtsprechung wird der Anwendungsbereich für In-House-Vergabe wieder etwas erweitert. In der Praxis wird auch zukünftig genau zu prüfen sein, ob die genannten Bedingungen wirklich erfüllt sind. Bauaufträge, die kommunale Wohnungsbaugesellschaften für ihre Gesellschafter ausführen, werden auch zukünftig nur unter bestimmten Rahmenbedingungen als „In-House-Geschäfte“ gesehen werden.
Die interkommunale Kooperation bleibt wie bisher vergabefrei möglich, wenn diese Zusammenarbeit ausschließlich im öffentlichen Interesse liegt und die beteiligten öffentlichen Auftraggeber „auf dem offenen Markt weniger als 20 % der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten“ erbringen.
Elektronische Vergaben
Es ist die Erwartungshaltung der EU, dass mittelfristig der gesamte Informationsaustauch bei der Vergabe ausschließlich mit elektronischen Kommunikationsmitteln erfolgt. Für die Umsetzung der elektronischen Vergabe wurde zwar eine verlängerte Frist von 54 Monaten, bzw. 36 Monate für zentrale Beschaffungsstellen gewährt, dennoch sollten sich öffentliche Auftraggeber rechtzeitig auf die notwendigen Anpassungen bei Technik und Prozessen einstellen.
Neue Konzessionsrichtlinie
Bisher waren Dienstleistungskonzessionen von expliziten vergaberechtlichen Regelungen ausgenommen. Die neue Konzessionsrichtlinie soll das ändern, einen einheitlichen Rechtsrahmen bieten und so den Rechtsschutz sowie den Zugang zu Konzessionsmärkten verbessern. Eine Konzession beinhaltet das Recht, eine Leistung gegenüber Dritten wirtschaftlich nutzen zu dürfen. Zur Abgrenzung der Konzession vom öffentlichen Auftrag wurde im Wesentlichen die bisherige Rechtsprechung des EuGH zum Vorliegen einer Konzession umgesetzt und der Begriff des „wesentlichen Betriebsrisiko“ in Artikel 5 präzisiert. Die Richtlinie gilt für Konzessionen, deren Vertragswert mindestens 5.186.000 Euro beträgt. Geregelt werden vor allem allgemeine Verfahrensgrundsätze zur Wahrung von Transparenz und Gleichbehandlung, wobei die Vorgaben hier weniger detailliert als bei der Richtlinie für öffentliche Aufträge sind.
Fazit
Die neuen EU-Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge kodifizieren die EuGH-Rechtsprechung der letzten 10 Jahre und schaffen somit in wichtigen Bereichen mehr Rechtssicherheit. Die VBD Beratungsgesellschaft für Behörden mbH sieht sich durch die neuen Richtlinien in ihrem bisherigen Vorgehen bei komplexen Vergaben bestätigt und in ihrem ganzheitlichen Beratungsansatz für öffentliche Auftraggeber bestärkt.
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